Annalena Baerbock ist die erste Frau an der Spitze des Außenamts. Sie brennt für den Job, erntet Lob im Ausland und umso mehr Kritik im Inland. Was hat sie wirklich erreicht?
Eine Bilanz zu ziehen, von einer Amtszeit, die von Widersprüchen geprägt war, die vor nie dagewesenen Herausforderungen stand, das ist keine leichte Aufgabe. Viel Licht und Schatten prägen die Amtszeit von Annalena Baerbock – im Inland mehr Schatten, im Ausland mehr Licht.
Klare Haltung für Frieden in Freiheit
Ihre Abschiedstournee führt sie in die Ukraine und nach Moldau. Das ist bezeichnend, denn dort ist sie angesehen und beliebt, dort wird sie selbst vom Präsidenten empfangen. Wolodymyr Selenskyj dankt ihr für ihr Engagement, für ihren unermüdlichen, leidenschaftlichen Einsatz für die Ukraine – mit ihrer klaren Haltung für mehr Frieden in Freiheit. Und für mehr Selbstbestimmung, die man notfalls eben auch mit Waffen verteidigen müsse.
Selbst für den kleinen Staat Moldau hat sich Baerbock eingesetzt, immer wieder war sie hier, initiierte eine Unterstützerkonferenz, um diesen kleinen Staat nicht wieder Russland zu überlassen.
Es ist das Herzensprojekt von Annalena Baerbock: eine feministische Außenpolitik. Als erste Frau an der Spitze des Außenministeriums ruft sie zum Umdenken auf. 27.06.2023 | 3:00 min
Doch vieles ist von Bundeskanzler Olaf Scholz und seinem außenpolitischen Berater Jens Plötner blockiert worden, die Waffenlieferungen und finanzielle Zusagen an die Ukraine immer wieder verzögerten.
Baerbock steht für neuen Ton
Baerbock stand am Anfang für eine neue Form der Außenpolitik. Nicht nur, weil sie die erste Frau an der Spitze dieses eher konservativen Außenamtes ist, sondern, weil ihr Ton auch forscher, frecher, weniger diplomatisch war. Sie gab ihren Gesprächspartnern Kontra, ließ die üblichen Sprechblasen weg, setzte sich öffentlich mit dem russischen oder türkischen Außenminister auseinander. Es war ein verbaler Schlagabtausch auf offener Bühne, das hatte es vorher so selten, wenn überhaupt schon gegeben.
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Dass sie in einem Fernsehinterview in den USA dann China als Diktatur benannte, ging jedoch für viele zu weit. Auch wenn es stimme, sei es nicht weiterführend, die Türen zuzuschlagen, so die Kritiker.
Erstaunlich jedoch das Lob von Roderich Kiesewetter – er ist Außenpolitiker der Union, nicht der Grünen: „Wir können froh sein, dass Annalena Baerbock angesichts des desaströsen Auftretens des Kanzlers in der sicherheitspolitisch größten Bedrohung seit 1945 Außenministerin war, denn sie hat mit ihrer klaren Haltung für Frieden in Freiheit und Selbstbestimmung sehr viel mehr gegen die Blockade von Olaf Scholz durchgesetzt.“ Ebenso habe sie mit ihrer klaren Botschaft, dass Diplomatie auch Härte brauche, viel Vertrauen bei den europäischen Partnern wieder aufgebaut.
Es bringt nichts, mit ständigem Appeasement und Wischiwaschi-Ansprachen in solchen Zeiten aufzutreten.„
Roderich Kiesewetter (CDU)
Im Ausland viel Lob für Baerbocks Einsatz
Im Ausland sind es viele Außenminister und Staatschefs, die das genauso sehen, die ihr für ihren unermüdlichen Einsatz danken – sie war alleine in der Ukraine elf Mal, neun Mal nach Kriegsbeginn.
Auch im Nahen Osten war sie oft, doch bewirkt hat sie wenig. Aber wer hat das schon? Dennoch gab es viel Kritik für ihre Israel-Haltung, mehr Unterstützung für Jerusalem, das hätte sich so mancher gewünscht, vor allem in der Union.
Viele in Deutschland sehen Baerbock kritisch
Im Inland wird sie deutlich kritischer gesehen. Anspruch und Wirklichkeit, was hat sich geändert, in der Außenpolitik, im Auswärtigen Amt? Vieles ist nicht erreicht worden, oft, vor allem am Ende, gab es zu viele Sprechblasen, zu lange Interviews, in denen am Ende trotz vieler Worte nicht viel gesagt wurde.
Ja, sie hat eine Nationale Sicherheitsstrategie erarbeiten lassen. Aber im Konflikt mit dem Kanzleramt ist sie verwässert, wird nicht wirklich allen derzeitigen Gefahren gerecht.
Eine neue China-Strategie ist im Ton rauer, aber ansonsten recht vage.
Feministische Außenpolitik
Und dann ihre feministische Außenpolitik, viel Wirbel, viel heiße Luft. Dabei reicht es nicht, bei jeder Auslandsreise einen Termin bei einem beliebigen Frauenprojekt einzufügen. Nein, wenn es darauf ankommt, beispielsweise bei der Unterstützung der Frauen im Iran, beim Kampf für Frauenrechte auf der ganzen Welt, bei der Beförderung von Frauen im diplomatischen Dienst, da ist viel zu wenig vorangebracht worden, zu wenig passiert.
Vernichtend ist das Urteil von Alice Schwarzer: „Leider hat Annalena Baerbock ihr Amt als Außenministerin nicht genutzt, um die so groß angekündigte ‚feministische Außenpolitik‘ zu machen“, sagt die Vorkämpferin für Frauenrechte.
„Immer wogen andere Interessen schwerer als die der Frauen. Dabei hatte es mehr als eine Gelegenheit gegeben, gerade als deutsche Außenministerin aktiv zu werden. Den Frauen im Iran beizustehen, die mit ihrem Protest gegen die Verschleierung ihr Leben riskiert haben. Oder den Frauen in Afghanistan, die zum Teil bis heute in den Kellern versteckt sind“, sagt Schwarzer. „All diese Frauen haben gerade auf die deutsche Außenministerin gehofft. Vergebens.“
Und dann, zum Ende ihrer Amtszeit, schnappt Annalena Baerbock einer deutschen Vorzeige-Diplomatin, Helga Schmid, den Job als Präsidentin der UN- Generalversammlung weg, ausgerechnet einer Frau. Ober sticht Unter, das Prinzip erinnert eher an männliche Politik.
Baerbock schafft einen neuen Stil im Auswärtigen Amt
Was bleibt von ihrer Amtszeit, ist ein neuer Stil im Auswärtigen Amt, sprachlich, optisch, inhaltlich. Mehr als all die männlichen Vorgänger, zum Beispiel Heiko Maas, geschafft haben. Das ewige Kompetenzgerangel zwischen Auswärtigem Amt und dem Kanzleramt zu beseitigen, das ist vielleicht die Lehre aus den vergangenen Jahren für den Nachfolger. Gerade in diesen Zeiten, in denen es darauf ankommt, dass die Regierung mit einer Stimme spricht.