Während die USA bei der Hilfe für die Ukraine zögern, kommen im Brüsseler Nato-Hauptquartier Verteidigungsminister aus Mitgliedstaaten der sogenannten Koalition der Willigen zusammen. Die von Frankreich und Grossbritannien geführte Gruppe will bei dem heutigen Treffen (15.00 Uhr) ihre Pläne zur Unterstützung des von Russland angegriffenen Landes vorantreiben. Dabei geht es vor allem um die Frage, wie der Ukraine ein Höchstmass an Sicherheit gegeben werden könnte, wenn sie sich auf einen Waffenstillstand einlassen sollte.
Dazu wird sowohl an einem Konzept für die Überwachung eines möglichen Waffenstillstands als auch an Plänen für eine noch stärkere Unterstützung der ukrainischen Streitkräfte durch Ausbildung und Waffenlieferungen gearbeitet. Im Idealfall soll die Armee so schlagkräftig werden, dass Russland keine weiteren Aggressionen wagt. Im Gespräch ist zudem, zwecks Abschreckung europäische Streitkräfte an der Westgrenze der Ukraine zu stationieren.
Selenskyj nennt Chinas Position widersprüchlich
Nach der Gefangennahme von zwei aufseiten der russischen Armee in der Ukraine kämpfenden Chinesen erhebt die Führung in Kiew schwere Anschuldigungen gegen Peking. Es handle sich nicht um Einzelfälle, sagte der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj in seiner abendlichen Videobotschaft. «Wir haben auch Informationen über andere chinesische Bürger in der russischen Armee mit Namen und Kampfnamen sowie Beschreibungen der konkreten Art und Weise, wie diese Soldaten in das russische Besatzungskontingent gelangten.»
In einer Pressekonferenz kurz zuvor hatte Selenskyj die Zahl der Chinesen in der russischen Armee mit mindestens 155 angegeben. Zu diesen Kämpfern habe man inzwischen alle Angaben einschliesslich der Passdaten, sagte er. Russland werbe diese Männer über soziale Netzwerke wie Tiktok an und die Regierung in Peking wisse davon. Die beiden chinesischen Gefangenen, die inzwischen in Kiew befragt würden, werde die Ukraine nur im Austausch gegen eigene Kriegsgefangene freigeben, sagte Selenskyj auf der Pressekonferenz.
In seiner Videobotschaft betonte Selenskyj, es stehe im Widerspruch zur offiziellen Position Pekings, dass Chinesen aufseiten der russischen Besatzer kämpfen. Chinas Führung habe immer vor einer Eskalation des Kriegs gewarnt – aber die Beteiligung chinesischer Kämpfer stelle genau eine solche Eskalation dar. Daher sei eine harte Reaktion erforderlich.
China, das sich offiziell neutral gibt, hatte den Vorwurf zurückgewiesen, dass eigene Bürger an der russischen Invasion in der Ukraine beteiligt seien. Dies seien haltlose Behauptungen, hiess es. Die chinesische Regierung habe ihre Bürger stets aufgefordert, sich von Gebieten mit militärischen Konflikten fernzuhalten.
Bezahlt, um für Russland zu kämpfen?
Zuvor hatten ukrainische Medien unter Berufung auf Armeekreise berichtet, einer der kürzlich bei Kämpfen in der Ukraine gefangengenommenen Chinesen habe umgerechnet mehr als 3.100 Euro bezahlt, um russischer Soldat zu werden. Er sei durch die Aussicht auf einen russischen Pass motiviert worden. Nach Russland reiste er demzufolge als Tourist ein. Die russische Armee zahlt üblicherweise ein Handgeld von umgerechnet mehreren Tausend Euro, um neue Soldaten anzuwerben.
Laut dem Online-Portal «Ukrajinska Prawda» soll die Grundausbildung im besetzten ostukrainischen Gebiet Luhansk nach Angaben des Gefangenen ohne Übersetzer stattgefunden haben. Die Verständigung sei durch Gesten und mittels automatischer Übersetzungen auf dem Telefon erfolgt. Bei Kämpfen um die Ortschaft Bilohoriwka in der Region Luhansk sei der Mann dann in ukrainische Gefangenschaft geraten. Wegen fehlender Sprachkenntnisse sei seine Gruppe in eine aussichtslose Lage gekommen und habe sich ergeben müssen.
Hoffnung auf neue Waffenlieferungen aus den USA
Die ukrainischen Vorwürfe gegen China bekommen zusätzliche Brisanz vor dem Hintergrund des beispiellosen Handelskriegs zwischen Washington und Peking. Während US-Präsident Donald Trump China strategisch als grösste Bedrohung der USA betrachtet, behandelt er Russland vergleichsweise wohlwollend. Mehrere russische Kriegsforderungen wie den Verzicht der Ukraine auf grössere Gebiete und einen Nato-Beitritt hatte die US-Regierung schon vor eigentlichen Verhandlungen über eine mögliche Waffenruhe praktisch abgesegnet. Auch von seinem gewaltigen Zollpaket hat Trump Russland mit Verweis auf die laufenden Friedensbemühungen ausgenommen, nicht aber die Ukraine.
Trump ist – im Gegensatz zu seinem Vorgänger Joe Biden – nicht gewillt, weiter grosse Summen in die Unterstützung der Ukraine zu investieren. Selenskyj bekräftigte aber erneut, sein Land sei bereit, für weitere Militärhilfen aus den USA zu zahlen, speziell für die dringend benötigten Flugabwehrsysteme vom Typ Patriot. Derzeit laufen Verhandlungen über ein Rohstoffabkommen zwischen beiden Ländern, mit denen sich die USA unter anderem die Kontrolle über Vorkommen seltener Erden in der Ukraine sichern wollen.