Früher war alles viel besser. Nicht ganz: Die Luft zum Beispiel war in Mainz früher schlechter. Und die Ideen der Automobilindustrie schon mal origineller.
SP-X/Köln. Lust auf ein kleines Gedankenspiel? Stellen Sie sich vor, Sie wären ernsthaft erkrankt – was Gott oder irgendeine andere höhere Instanz natürlich verhüten möge. Ihr Arzt (oder Ihre Ärztin selbstverständlich) verschreibt Ihnen daraufhin ein Medikament. Nach einiger Zeit sind zumindest die Symptome der Krankheit verschwunden. Was tun Sie? Sie setzen das Medikament wieder ab. Denn es ist ja alles wieder in Ordnung.
Natürlich werden Sie dies aus guten Gründen – nämlich zum Erhalt Ihrer Gesundheit – keinesfalls tun. War ja auch nur ein Gedankenspiel. Und warum spielen wir mit Ihren Gedanken? Natürlich wegen einer Analogie. Und die geht so: In Mainz wurde vor fünf Jahren auf einigen Straßen Tempo 30 eingeführt, wegen der Luftqualität. Jetzt wurde im Rechtsausschuss die Beschwerde eines Bürgers verhandelt, der sich mit dem Argument gegen das Tempolimit wehrt, die Grenzwerte für Stickstoffdioxid (NO2) würden ja bereits deutlich unterschritten. Und der im Ausschuss sitzende Richter gab ihm recht, die entsprechenden Tempo-30-Schilder sind abmontiert oder verhüllt.
Vielleicht weiß man in Mainz ja mehr, als wir hier an unserem provinziellem Schreibtisch. Aber eine Maßnahme einzustellen, weil sie Erfolg gehabt hat, mutet uns irgendwie schwerlich nachvollziehbar an. Wir würden es im Falle eines Medikaments (s. oben) auf jeden Fall sicherheitshalber nicht tun, aber in diesem Fall geht es ja auch nur um die Umwelt. Dass ein immer leicht windig wirkender Verein wie die Deutsche Umwelthilfe damit einmal mehr unnötig Munition bekommt und nun klagen will, ist allerdings nur eine Folge dieses Schildbürgerhaft anmutenden Streichs.
Ja, die Zeiten sind schlecht und wie immer, wenn die Zeiten schlecht sind, neigen speziell wir Deutschen zu (noch mehr) Nabelschau, verbunden mit einem leicht biedermeierlichen wirkenden Rückzug ins heimelige.
Auch die Autoindustrie bedient gerne den wieder einmal aufflammenden Trend zur Nostalgie mit mehr oder weniger originellen Produkten und subtilen Einfällen. Zu nennen wäre hier etwa eine Mercedes G-Klasse mit dem etwas umständlichen Namen „Edition Stronger than the 1980s“, die sich optisch unter anderem in so aufregenden Farben wie Agavegrün, Cremeweiß und Coloradobeige präsentiert und – es reißt einen förmlich von den AMG-Sitzen – tatsächlich über orangefarbene Blinker verfügt. Eine Art von Nostalgie, die man sich bei Preisen ab 160.000 Euro allerdings auch erst einmal leisten können muss.
80er-Jahre fürs einfache Volk gibt es dagegen erwartungsgemäß von Volkswagen. Die Wolfsburger bieten ab sofort für viele Modelle das gute alte Arcade-Spiel Pac-Man an, natürlich in einer „Championship Edition“, das muss dann schon sein. Der gefräßige Pac-Man passt gut in eine Zeit, in der für gewisse Länder bzw. deren Führer wieder das Recht des Stärkeren gilt. Der Protagonist frisst ja Gespenster, ob er allerdings auch die gerufenen Geister vertilgen kann? Da bleiben wir skeptisch und spielen lieber noch ne Runde.
Nicht neu, doch als Idee wieder aufgelegt wurde jetzt eine Sonderserie des Transporters E-Jumpy von Citroen, gedacht als Hommage an die legendären Nutzfahrzeuge mit Wellblech-Karosserie, die kurz nach Kriegsende bis (tatsächlich) Anfang der 80er-Jahre produziert wurden und die französischen Straßen prägten.
Doch ach, wie so häufig entpuppt sich der vermeintlich menschlich-warme Blick zurück in die Vergangenheit als Produkt äußert kühler Berechnung von Marketing-Strategen. Im Fall des Jumpy heißt das: Statt Wellblech werden Heck und Flanken einfach nur beklebt, um einen mit dem Original vergleichbaren Effekt zu erreichen. Hat sicher viele Vorteile, ist bestimmt auch billiger, aber irgendwie auch enttäuschend praktisch.
Wir lernen: Einerseits war die Vergangenheit wahrscheinlich nie so schön und sorgenfrei, wie sie heute durch unsere rosaroten Brillen sehen. Andererseits war wahrscheinlich noch nie eine Gegenwart so abgeschmackt wie die, in der wir gerade leben. Trotzdem und erst recht wollen wir diese Kolumne mit einem positiven Blick nach vorne und mit Ernest Hemingway beschließen: „Das Merkwürdige an der Zukunft ist wohl die Vorstellung, dass man unsere Zeit einmal die gute alte Zeit nennen wird.“ Nehmt das, Nostalgiker. Sonst noch was? Nächste Woche wieder.