Angesichts rekordbrechender Temperaturen und zunehmender Wetterkatastrophen rückt Klimamodifikation in den Fokus. Die Digitale Transformation-Spezialistin Anabel Ternès erläutert, wie technische Eingriffe das Klima retten könnten.
Was versteht man unter Klimamodifikation und warum ist das Thema so aktuell?
Klima-Modifikation – oder auch Geoengineering – beschreibt gezielte technische Eingriffe in das Klimasystem der Erde, um extreme Wetterereignisse zu beeinflussen oder den Klimawandel abzuschwächen. Diese Idee ist nicht neu, gewinnt aber angesichts rasant steigender Temperaturen und immer häufiger auftretender Wetterkatastrophen an Brisanz. Während einige Ansätze bereits in kleinem Maßstab getestet wurden, bleibt die globale Debatte um Risiken und ethische Fragen hochkomplex.
Über Anabel Ternès
Prof. Dr. Anabel Ternès ist Unternehmerin, Zukunftsforscherin, Autorin, Radio- und TV-Moderatorin. Sie ist bekannt für ihre Arbeit im Bereich digitale Transformation, Innovation und Leadership. Zudem ist Ternès Präsidentin des Club of Budapest Germany, Vorstand des Friends of Social Business und Club of Rome Mitglied.
Warum ist das Thema so aktuell?
Die vergangenen Jahre haben gezeigt, dass die bisherigen Maßnahmen zur CO₂-Reduktion nicht ausreichen, um die Erderwärmung signifikant zu bremsen. 2023 war das heißeste Jahr seit Beginn der Wetteraufzeichnungen, Hitzewellen, Dürren und Flutkatastrophen häufen sich. Gleichzeitig gibt es massive geopolitische Spannungen, die eine globale Klimapolitik erschweren.
Hier setzt die Klima-Modifikation an. Denn anstatt Jahrzehnte darauf zu warten, dass politische Prozesse Wirkung zeigen, könnten gezielte technologische Eingriffe schneller Ergebnisse liefern – sei es durch die gezielte Reflexion von Sonnenstrahlung oder durch die Entfernung von CO₂ aus der Atmosphäre. Doch die Technologien sind nicht nur teuer und aufwendig, sondern bergen auch unbekannte Risiken.
Welche Ideen gibt es zur Veränderungen des Klimasystems mit dem Ziel, die vom Menschen gemachte (anthropogene) Klimaerwärmung zu mildern?
1. Stratosphärische Aerosolinjektion (SAI)
Durch das Einbringen von Aerosolen, beispielsweise Schwefelverbindungen, in die Stratosphäre soll ein Teil des Sonnenlichts reflektiert werden, um die Erdoberfläche abzukühlen. Dieses Konzept orientiert sich an natürlichen Phänomenen wie Vulkanausbrüchen, die temporär zu globalen Temperaturabsenkungen führen. Die Idee der SAI wurde bereits in den 1970er Jahren diskutiert.
Die Technologie befindet sich in der Forschungsphase, wobei sowohl technische Machbarkeit als auch potenzielle Risiken intensiv debattiert werden.
2. Marine Cloud Brightening
Durch das Versprühen von Meerwasseraerosolen in die Atmosphäre sollen Meereswolken aufgehellt werden, um mehr Sonnenlicht zu reflektieren und somit die Ozeantemperaturen zu senken. Dieses Konzept wurde in den frühen 2000er Jahren vorgeschlagen.
Experimentelle Studien laufen, jedoch gibt es Bedenken hinsichtlich möglicher negativer Effekte auf regionale Wetterphänomene und marine Ökosysteme.
3. Direkte CO₂-Abscheidung und -Speicherung (Direct Air Capture and Storage, DACCS)
CO₂ wird direkt aus der Atmosphäre gefiltert und anschließend unterirdisch gespeichert, um die Konzentration von Treibhausgasen zu reduzieren. Die Grundlagenforschung begann in den 1990er Jahren.
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Es existieren bereits Pilotprojekte, beispielsweise in Island, die CO₂ aus der Luft abscheiden und in Basaltformationen mineralisieren.
4. Künstliche Verwitterung
Durch das Ausbringen von mineralischen Substanzen wie Olivin oder Basalt auf Landflächen soll die natürliche Verwitterung beschleunigt werden, wodurch CO₂ aus der Atmosphäre gebunden wird. Dieses Konzept wurde in den 1990er Jahren entwickelt.
Feldversuche laufen, jedoch sind großflächige Anwendungen aufgrund logistischer und ökologischer Herausforderungen bisher nicht realisiert.
5. Biokohle (Biochar)
Organische Materialien werden durch Pyrolyse in eine stabile Kohlenstoffform umgewandelt, die als Bodenverbesserer dient und gleichzeitig CO₂ langfristig bindet. Es gibt zahlreiche Pilotprojekte weltweit.
6. Ozeandüngung
Durch die Einbringung von Nährstoffen wie Eisen in bestimmte Meeresregionen soll das Algenwachstum gefördert werden, wodurch mehr CO₂ aus der Atmosphäre gebunden wird.
Erste Feldversuche fanden in den 1990er Jahren statt, stießen jedoch auf ökologische und ethische Bedenken. Aufgrund potenzieller Risiken für marine Ökosysteme sind großangelegte Anwendungen bisher nicht erfolgt.
Was sind die Gefahren der ideen zur Klimamodifikation?
1. Unvorhersehbare ökologische Auswirkungen:
Eine der größten Gefahren der Klimamodifikation ist die Unvorhersehbarkeit der ökologischen Folgen. Technologien wie die künstliche Aerosol-Injektion, bei der Schwefelpartikel in die Stratosphäre eingebracht werden, könnten das Klima kurzfristig abkühlen, jedoch langfristig das Wettergeschehen auf der Erde destabilisieren.
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Unklare Auswirkungen auf Niederschlagsmuster und Ökosysteme könnten zu schwerwiegenden, irreversiblen Veränderungen führen. So warnte bereits 2006 eine Studie des „Royal Society“ vor den potenziellen Gefahren einer großflächigen Anwendung solcher Technologien.
2. „Moral Hazard“ – Ablenkung von notwendigen Emissionsreduktionen:
Ein weiterer wesentlicher Risikofaktor ist die Möglichkeit, dass die Forschung und Anwendung von Geoengineering-Technologien als „Ausrede“ dienen könnten, um notwendige Maßnahmen zur Reduktion von Treibhausgasemissionen zu verzögern.
Dieses Phänomen wird als „Moral Hazard“ bezeichnet. In einem Bericht des „Environmental Defense Fund“ (2012) wurde darauf hingewiesen, dass Geoengineering als Entschuldigung genutzt werden könnte, um den Fokus von echten Lösungen wie der Energiewende und einer nachhaltigeren Wirtschaft abzulenken.
3. Geopolitische Spannungen:
Geoengineering-Technologien werfen auch Fragen zur globalen Gerechtigkeit und Machtverhältnissen auf. Die Durchführung solcher Projekte erfordert weltweit koordinierte Anstrengungen, die jedoch geopolitische Spannungen verschärfen könnten. Ein unilaterischer Einsatz von Klimamodifikationen könnte zu Konflikten führen, da verschiedene Länder möglicherweise unterschiedliche Interessen hinsichtlich der Auswirkungen auf ihr Klima und ihre landwirtschaftliche Produktion haben.
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Eine solche Dynamik könnte auch in einer verstärkten Form von Klimaimperialismus enden, bei dem wohlhabende Nationen Entwicklungsländer in ihren geopolitschen und klimatischen Anpassungen beeinträchtigen.
4. Unsicherheit über langfristige Effekte:
Viele Ansätze zur Klimamodifikation, wie etwa das Ozeandüngen oder die CO2-Abscheidung aus der Atmosphäre, haben unsichere langfristige Auswirkungen. Eine plötzliche Umkehrung oder fehlerhafte Anwendung könnte das globale Klima schwerwiegend destabilisieren. Studien zeigen, dass es keine verlässlichen Modelle gibt, die exakt vorhersagen können, wie sich diese Technologien auf langfristige Klimatrends auswirken.
Was für Szenarien sind denkbar, wenn einzelne Staaten in das Klima mit Solar Geoengineering eingreifen?
1. Einseitige Klimamodifikation und geopolitische Spannungen
Ein solcher Schritt könnte als unilateraler Eingriff in das globale Klima wahrgenommen werden, wenn er ohne die Zustimmung der internationalen Gemeinschaft erfolgt. Dies könnte zu Konflikten führen, wenn etwa ein Land in der Nähe des Äquators eine großflächige Aerosol-Injektion in die Stratosphäre durchführt und damit das Klima in angrenzenden Ländern beeinflusst, etwa durch veränderte Niederschlagsmuster.
Laut einer Studie der „Beijing Institute of Technology“ aus dem Jahr 2020 könnte ein solcher Einsatz von China westliche Länder in Alarm versetzen, da eine unkontrollierte Veränderung des Wetters in einem so großen geopolitischen Raum auch wirtschaftliche und soziale Folgen für die Region hätte.