Vor fünf Jahren begann der erste Lockdown in Deutschland. Zukunftsforscher Hartwin Maas erklärt, was das Land gelernt hat und wie gut es auf die nächste Pandemie vorbereitet ist.
Berlin. Fünf Jahre nach dem ersten Corona-Lockdown in Deutschland ist für Experten klar: Es ist keine Frage, ob die nächste Pandemie kommt – sondern wann.
Hartwin Maas, Wissenschaftler und Mitgründer des privaten Instituts für Generationenforschung in Augsburg, nennt dafür im Gespräch mit dem Handelsblatt vor allem die Erderwärmung als Grund: „Sie verändert unser Klima, verstärkt Naturkatastrophen wie Überschwemmungen und Brände und zwingt uns, Menschen und Tiere immer näher zusammenzubringen.“ Das schaffe den perfekten Nährboden für neue Krankheiten.
Aus der Covid-Pandemie hat Deutschland ihm zufolge zwar viele richtige Schlüsse gezogen: So wurden Frühwarnsysteme entwickelt und Institutionen besser vernetzt. Doch Prävention sei wieder zu einem „Nebenschauplatz“ geworden. Auf die nächste Krise sei das Land „nicht optimal vorbereitet“. Im Gespräch erklärt er auch: Lockdowns werden in der nächsten Pandemie keine Option mehr sein.
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Herr Maas, vor fünf Jahren, am 22. März 2020, wurde der erste Corona-Lockdown ausgerufen – ein Moment, der das gesellschaftliche Leben radikal verändert hat. Wie hoch ist das Risiko, dass eine weitere Pandemie auf uns zukommt?
Eine nächste Pandemie wird mit Sicherheit kommen. Das Risiko ist also real und hat sich sogar erhöht. Der Grund dafür ist die Erderwärmung.
Das müssen Sie erläutern.
Sie verändert unser Klima, verstärkt Naturkatastrophen wie Überschwemmungen und Brände und zwingt uns, Menschen und Tiere immer näher zusammenzubringen. Und genau das schafft einen perfekten Nährboden für neue Krankheiten.Zukunftsforscher Hartwin Maas rechnet damit, dass eine nächste Pandemie kommen wird und dass Deutschland noch nicht optimal darauf vorbereitet ist. Foto: privat
Warum ist das so?
Alte Viren, die früher in bestimmten Regionen isoliert waren, können plötzlich auch in anderen Teilen der Welt verbreitet werden. Wenn wir uns nicht bewusst und entschlossen vorbereiten, wird das Risiko für eine neue Pandemie immer weiter steigen.
Eine entscheidende Maßnahme während der Coronapandemie waren die Lockdowns. Glauben Sie, dass diese in einer zukünftigen Pandemie genauso durchsetzbar wären?
Nein, ich glaube nicht, dass die Bevölkerung in einer neuen Pandemie noch genauso bereit wäre, sich an strenge Lockdowns zu halten. Während der Coronapandemie war die Akzeptanz der Maßnahmen bereits sehr unterschiedlich, und oft war die Kommunikation nicht klar oder überzeugend genug. Die Weltgesundheitsorganisation WHO wird auch vorsichtiger damit sein, Lockdowns auszurufen.
Menschen unterschätzen Risiken – im Vorfeld
Warum war die Kommunikation während der Coronapandemie problematisch?
Politik und Wissenschaft arbeiteten nicht so koordiniert zusammen, wie es notwendig gewesen wäre. Wissenschaftliche Erkenntnisse und politische Entscheidungen waren nicht gut aufeinander abgestimmt, sodass es während der Pandemie eine Vielzahl unterschiedlicher Meinungen und Informationen gab, was zu großer Verwirrung in der Bevölkerung führte. Eine klare und einheitliche Kommunikation ist entscheidend, um das Vertrauen der Menschen zu gewinnen und sicherzustellen, dass die Botschaften angenommen werden.
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Vor Corona war die Welt vor einer Pandemie gewarnt, aber nicht darauf vorbereitet. Neigen Menschen dazu, Krisen zu unterschätzen, bevor sie eintreten?
Das ist ein typisches menschliches Phänomen. Solange ein Problem nicht direkt vor unserer Tür steht, schätzen wir das Risiko oft als gering ein. Wir konzentrieren uns auf das, was uns direkt betrifft, und können uns das Ausmaß der Krise schwer vorstellen. So war es auch bei der Coronakrise, die anfangs als lokale Bedrohung wahrgenommen wurde. Doch dann verbreitete sich das Virus weltweit und hatte letztlich enorme Auswirkungen auf die Gesundheit, die Wirtschaft und den Arbeitsmarkt. Wenn die Krise dann aber da ist, überschätzen wir oft die Folgen, weil wir uns vorher nicht vorstellen konnten, wie schlimm es werden könnte.
Das heißt, in der Pandemie haben die Behörden auch zu stark reagiert? Wo?
Im Bildungssystem. Der Fokus lag stark auf dem Schutz vor Infektionen, und daher wurden Schulen geschlossen und der Unterricht ins Internet verlagert. Dabei wurden jedoch die Lernrückstände, die psychischen Belastungen und die soziale Isolation der Kinder übersehen.