Die CDU rückt nach rechts – und das seit lange vor dem Attentat
in Aschaffenburg. Einige Wirtschaftslobbyisten und Denkfabriken
untergraben aktiv die Brandmauer. Der nächste mögliche Tabubruch: eine
Minderheitsregierung.
Im Kern liegt der Fünf-Punkte-Plan seit Monaten in der CDU vor, fertig ausgearbeitet und bereit für die große Öffentlichkeit: Ende November 2024 skizzierte CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann auf einem Podium die Vorhaben, für die Merz jetzt die Stimmen der AfD in Kauf nahm und ein politisches Beben auslöste: dauerhafte Kontrollen an der Grenze, Zurückweisungen für Menschen ohne gültige Einreisedokumente.
Die Vorschläge präsentierte Linnemann lange vor dem Messerattentat von Aschaffenburg: Er sprach auf einer Konferenz mit dem Titel „Zeitenwende Migrationspolitik“. Die CDU-Fraktion hatte sich schon nach dem gescheiterten Asylgipfel im September für Zurückweisungen an den Grenzen ausgesprochen, und einige in der CDU vermuten: Das Bundestags-Drama der vergangenen Woche war lange vorbereitet.
Seit der vergangenen Woche ist die CDU eine Partei in Aufruhr: Merz entschied sich infolge des Anschlags in Aschaffenburg, seinen Fünf-Punkte-Plan mit aller Macht durchzusetzen – notfalls mit den Stimmen der AfD. Gleich nach diesem Tabubruch dachten einige in der CDU und im Umfeld der Partei direkt an die nächsten Schritte, darunter Vertraute von Linnemann.
Nach Informationen von CORRECTIV treibt ein bestimmter Kreis von Personen den Rechtsruck der Partei voran: aggressiv, Social-Media-affin, im Ton der AfD nahe – und überwiegend recht jung. Sie sind bestens vernetzt und agieren nicht direkt aus der Partei, sondern aus einem Schnittbereich von Parteinähe, Lobby und Thinktanks. Gerne hätte CORRECTIV von Merz erfahren, wie er dies bewertet. Aber die Pressestelle des CDU-Vorsitzenden antwortete nicht auf die Anfragen hierzu.
Für jedes Gesetz eine Mehrheit suchen – notfalls mit AfD
Mehrere Gruppierungen und Vordenker treiben jetzt eine Idee voran, die der AfD noch mehr Einfluss verschaffen könnte: eine Minderheitsregierung. In diesem Fall müsste Merz für jedes Gesetz eine Mehrheit finden – notfalls auch mit der AfD.
Merz hat gerade auf dem Parteitag betont, dass er diese Option ausschließe: „Es gibt keine Zusammenarbeit, es gibt keine Duldung, es gibt keine Minderheitsregierung“, sagte er vor den frenetisch jubelnden Delegierten. Das scheint in der Union Konsens zu sein: Die Brandmauer zur AfD soll stehen bleiben. Worauf viele CDUler hinweisen: Es war in der Zeit der Ampel, dass die AfD von zehn auf 20 Prozent in Umfragen angewachsen ist.
Allerdings hat sich Merz erst vor wenigen Tagen über einen demokratischen Konsens hinweg gesetzt: Am Mittwoch vor einer Woche ließ der CDU-Chef seine Fraktion zusammen mit der AfD für seinen Fünf-Punkte-Plan stimmen: Merz will die Migrationspolitik drastisch verschärfen und nimmt dafür die Unterstützung von Rechtsaußen in Kauf.
Merz’ Tabubruch regt die Fantasie der rechten Hardliner an
Viele werfen ihm vor, die Brandmauer ins Wanken gebracht zu haben. Denn bisher galt bei der CDU, wie bei SPD, Grünen und Linken: Man stimmt nicht gemeinsam mit der in Teilen rechtsextremen Partei ab und lässt sich von ihr keine Mehrheiten verschaffen.
Es war ein nie dagewesener Vorstoß, der heftigste Debatten auslöste – und die Fantasie einiger rechter Hardliner im Umfeld der CDU-Spitze angeregt hat: Wenn sich ein Antrag mit AfD-Stimmen erzwingen lässt, warum dann nicht auch eine schwarz-gelbe Minderheitsregierung? Unions-Kenner beobachten seit Jahren, dass sich im Diskurs der Partei etwas verschiebt: „Ein bestimmtes Milieu – anti-woke, anti-links, ein bisschen rassistisch – betreibt Agenda-Setting“, sagt etwa ein früherer CDU-Bundestagsabgeordneter. „Was noch vor fünf Jahren als randständig galt, ist jetzt im Mainstream der Partei angekommen.”
Ende Januar zeigte CORRECTIV, dass Friedrich Merz für mehr Konzerne tätig war als bisher bekannt und wie stark die CDU Forderungen von Industrie- und Arbeitgeberverbänden in ihr Programm integriert hat. Diese Recherche belegt nun: Oft treiben dieselben Personen in Merz’ Umfeld, die einen ungezügelten marktliberalen Kurs und drastische Sozialkürzungen fordern, auch den Rechtsruck in der CDU voran.