Ein türkisches Gericht hat Untersuchungshaft für Istanbuls Bürgermeister Ekrem Imamoglu angeordnet. Das Innenministerium suspendierte ihn von seinem Amt. Seine Partei nominierte ihn zum Präsidentschaftskandidaten – mit großem Rückhalt in der Bevölkerung.
Die türkische Oppositionspartei CHP hat den Istanbuler Bürgermeister Ekrem Imamoglu zum Präsidentschaftskandidaten gewählt. Parteichef Özgür Özel erklärte vor Teilnehmern einer Demonstration in Istanbul am Abend, es hätten 1,6 Millionen der insgesamt 1,7 Millionen CHP-Mitglieder für den 53-Jährigen als Kandidat bei einer künftigen Präsidentschaftswahl gestimmt.
Millionen Menschen gaben Özel zufolge zudem ihre Stimme symbolisch an sogenannten Solidaritätswahlboxen für Imamoglu ab, die neben den regulären Urnen im ganzen Land aufgestellt worden waren. Nach Auszählung von etwas mehr als der Hälfte der Solidaritäts-Urnen käme man bereits auf mehr als 13 Millionen symbolischen Stimmen für Imamoglu, sagte Özel. Die Türkei hat 85,6 Millionen Einwohner.
Imamoglu gilt als aussichtsreicher Herausforderer des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan. Er wurde am Mittwoch in Zusammenhang mit Korruptions- und Terrorermittlungen festgenommen und nun wegen ersterem in Untersuchungshaft überführt. Imamoglu bestreitet alle Vorwürfe und wirft der Regierung vor, ihn mit den Ermittlungen als politischen Rivalen kalt stellen zu wollen.
Innenministerium suspendiert Imamoglu als Bürgermeister von Istanbul
Das Innenministerium erkannte ihm wegen der Untersuchungshaft am Sonntag „vorübergehend“ das Bürgermeisteramt ab. Auch die Bürgermeister der Istanbuler Gemeinden Beylikdüzü und Sisli wurden abgesetzt, in Sisli wurde ein Zwangsverwalter bestimmt. Ob für die Metropole Istanbul ebenfalls ein regierungsnaher Treuhänder eingesetzt wird, ist noch unklar. In der Türkei wurden bereits zahlreiche Bürgermeister der prokurdischen Dem-Partei und kürzlich auch der sozialdemokratischen CHP, der Imamoglu angehört, wegen Ermittlungen ihres Amtes enthoben. Das Vorgehen in der Metropole Istanbul aber ist beispiellos
Der Sieg Imamoglus im Jahr 2019 in Istanbul gilt als eine herbe Niederlage der Erdogan-Partei AKP, die die Großstadt bis dahin regierte. Der CHP-Politiker gewann in Istanbul 2024 ein weiteres Mal. Die Stadt ist die bevölkerungsreichste Metropole des Landes und sowohl politisch als wirtschaftlich von zentraler Bedeutung. In Istanbul hatte einst auch Erdogans Aufstieg seinen Anfang genommen, als er 1994 dort zum Bürgermeister gewählt wurde.
Erneuter Protest am Sonntagabend
Imamoglus Festnahme hat trotz Demonstrationsverboten für großen Protest im Land gesorgt, der bereits mehrere Tage andauert. Am Sonntag gingen erneut Hunderttausende Menschen auf die Straße. In Istanbul fanden sich am Abend Abertausende Demonstranten vor der Stadtverwaltung auf dem Sarachane-Platz ein, trotz eines weiter geltenden Demonstrationsverbotes.

Auch am Sonntag gingen Istanbuler wieder für Imamoglu auf die StraßeQuelle: REUTERS/Dilara Senkaya
CHP-Chef Özel sprach von einer Million Teilnehmern bei der Demo vor der Stadtverwaltung. Von den Behörden gibt es keine Angaben zu der Größe der Demonstrationen. Berichten zufolge setzte die Polizei am späten Abend Wasserwerfer und Tränengas gegen die Demonstrierenden ein.
„Ich grüße die Millionen, die heute Abend auf dem Sarachane-Platz und auf den Plätzen überall in meinem Land ihre Stimme erhoben haben“, hieß es in einer Mitteilung, die auf Imamoglus X-Account veröffentlicht wurde. „Sie haben Erdogan gesagt: ‚Jetzt reicht es!‘“
Auch in Ankara, wo ebenfalls aktuell Demonstrationen offiziell untersagt sind, setzten Tausende Menschen Berichten zufolge die Proteste fort. In Berlin gingen mehr als 1000 Menschen für Imamoglu und die türkische Demokratie auf die Straße.
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Hintergrund der Terrorermittlungen gegen Imamoglu ist laut staatlicher Nachrichtenagentur Anadolu eine Kooperation zwischen der CHP und der prokurdischen Dem-Partei bei den Kommunalwahlen. Über diese Kooperation habe die verbotene Kurdische Arbeiterpartei PKK versucht, ihren Einfluss auszuweiten, zitierte Anadolu am Mittwoch die Generalstaatsanwaltschaft.